Psychologie: Was ist Achtsamkeit überhaupt?
Achtsamkeit könnte man als Konterstrategie gegen die zunehmende Beschleunigung um uns herum umschreiben. Sie soll das Leben vielmehr ENTschleunigen. Im Englischen spricht man von Mindfulness.
Achtsamkeit bedeutet, seine ganze Aufmerksamkeit auf die Gegenwart zu richten – auf das Leben im Hier und Jetzt. Wer achtsam ist, nimmt das, was gerade passiert, bewusst wahr, ist offen und neugierig und nimmt die Geschehnisse auch an. Dieser Punkt ist wichtig: Achtsamkeit ist nicht wertend. Man akzeptiert den aktuellen Moment, so wie er ist und bewertet ihn nicht als gut oder schlecht.
Achtsamkeit ist also eine Konzentrationstechnik, mit der man bewusst wahrnimmt, was geschieht, ohne die Geschehnisse unverzüglich zu bewerten. Dabei geht es einerseits um Geschehnisse um uns herum, die wir nicht oder nur zum Teil beeinflussen können. Andererseits um das, was sich in unserem Innern abspielt. Zum Beispiel:
- Gedanken
- Erinnerungen
- Gefühle
- Phantasien
- Sinneserfahrungen
Achtsamkeit Wirkung: Was passiert dabei mit mir?
Ziel von mehr Achtsamkeit ist es nicht nur, den Moment zu erleben und zu genießen, sondern auch, Gelassenheit zu entwickeln. Man denkt nicht so weit voraus, geht demzufolge auch Termindruck und Hektik aus dem Weg, vermeidet sogar belastende Vergleiche mit dem Arbeitskollegen oder Nachbarn.
Wer sich auf den Moment konzentriert…
- verhindert Multitasking
- steigert das Wohlbefinden
- reduziert Stress
- erhöht die Konzentrationsfähigkeit
- hat positivere Gedanken
Wissenschaftler der TU Berlin haben außerdem gezeigt, dass Achtsamkeit die Lust am Materiellen verringert.
Achtsamkeit kann Ihnen auch am Arbeitsplatz helfen. Sie trägt dazu bei, sich auf das Meeting, das jetzt gerade stattfindet, zu konzentrieren, statt die Gedanken schon wieder um das nächste Projekt schweifen zu lassen. Sie fokussieren sich auf das Gespräch, das Sie gerade mit einem Kollegen führen, ohne währenddessen schon an den Einkauf nach Feierabend zu denken.
Und: Wenn Sie eine Szene bewusst beobachten, aber erstmal nicht bewerten, kann Ihnen das helfen, in wechselnden Situationen kreative Lösungen zu finden. So kann Achtsamkeit insbesondere auch Führungskräften helfen, eine produktive Führungskultur zu entwickeln.
Wissenschaftler der Universität Witten/Herdecke bezeichneten Achtsamkeit daher sogar schon als eine „Schlüsselkompetenz für situatives Denken und Handeln, Selbstreflexion und emotionale Intelligenz„.
Achtsamkeit Kritik: Was kann sie nicht?
Achtsamkeit ist kein Allheilmittel. Ein paar Achtsamkeitstrainings und Sie fühlen sich wie neugeboren und rundum happy – so einfach ist es natürlich nicht.
Im Gegenteil, manchen Menschen sollte man von derartigen Übungen und Techniken sogar ausdrücklich abraten. Zum Beispiel Schmerzpatienten. Für jemanden, der unter chronischen Schmerzen leidet, ist gerade die Ablenkung ein Segen, nicht die Konzentration auf den (schmerzhaften) Augenblick. Auch sehr selbstkritische Menschen könnten durch Achtsamkeit in negative Gedankenmuster verfallen.
Darüber hinaus entwickeln Achtsamkeitstrainings mitunter ihre eigene Dynamik. Nach dem Motto: Wenn ich 20 Minuten trainiere, muss ich hinterher fitter, gesünder und konzentrierter sein. So wird das Prinzip ad absurdum geführt und einem Leistungsgedanken unterworfen, dem man doch eigentlich entfliehen wollte.
Kritiker bemängeln zudem, dass Achtsamkeit die narzisstischen Tendenzen in der Gesellschaft noch weiter verstärkt. Sie führe dazu, sich noch intensiver mit sich selbst und seinen eigenen Befindlichkeiten zu beschäftigen. Es ist zumindest fraglich, ob Achtsamkeit Einfühlungsvermögen und Empathie wirklich steigert oder letztlich doch wieder nur auf das eigene Ego ausgerichtet ist.
Die Vorstellung, man könne mit Achtsamkeitsübungen zumindest nichts falsch machen, lässt sich somit nicht halten. Eine Studie der University of California deutete sogar darauf hin, dass Achtsamkeitstrainings das Gedächtnis schwächen können.
Achtsamkeit Übungen: Wie lässt sich das im Alltag praktizieren?
Mehrere Studien haben gezeigt, dass die Dichte der grauen Substanz im Gehirn durch Achtsamkeitsübungen zunimmt. Sie machen also tatsächlich etwas mit uns.
Sie aber müssen kein achtwöchiges MBSR-Achtsamkeitstraining belegen, um mehr Achtsamkeit einzuüben. MBSR steht für Mindfulness-Based Stress Reduction, zu deutsch: Achtsamkeitsbasierte Stressreduktion. Sie geht auf den US-amerikanischen Biologen Jon Kabat-Zinn zurück. Manche Krankenkassen übernehmen die Kosten solcher Kurse.
Schon in den Alltag lassen sich Übungen für mehr Achtsamkeit integrieren, zum Beispiel diese:
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Still sitzen
Suchen Sie sich einen ruhigen Ort und setzen sich aufrecht hin. Augen geöffnet halten und nach vorne gucken. Jetzt versuchen Sie, Ihre Atmung bewusst wahrzunehmen. Dabei kann Ihnen helfen, das Ein- und Ausatmen zu zählen oder mit „Ein“ und „Aus“ verbal zu begleiten. Die Gedanken lassen Sie währenddessen einfach an sich vorbeiziehen.
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Tief lauschen
Im Alltag ziehen zahllose Geräusche an uns vorbei. Dröhnen, Knattern, Piepsen, Klirren, Summen. Autos, Vögel, Windstöße. Bewusst wahr nimmt sie kaum noch jemand, allenfalls als Störfaktor. Spitzen Sie doch einmal die Ohren und nehmen die Geräusche um Sie herum bewusst wahr. Was hören sie? Wo kommen die Geräusche her, wo haben sie ihren Ursprung?
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Gedanklich fotografieren
Eine Übung, die Sie jederzeit im Alltag durchführen können. Schließen Sie die Augen und bewegen sich in Gedanken langsam durch den Raum. Dann öffnen Sie Ihre Augen für einen kurzen Augenblick. In diesem Moment drücken Sie gedanklich auf den Auslöser und fotografieren den Moment.
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Richtig tasten
Eine Achtsamkeitsübung für Ihren Tastsinn. Konzentrieren Sie sich auf die Gegenstände, die Sie in die Hand nehmen. Im Alltag gleiten uns so viele Stifte, Smartphones, Tickets oder Scheine durch die Hände, ohne dass wir sie wirklich fühlen. Versuchen Sie, genau das einmal zu tun. Welche Form haben sie, welche Beschaffenheit, welche Größe? Sind sie glatt oder rau, rund oder kantig?
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